Gemeinsame Erinnerung vom Bund der Vertriebenen und der CDU / Pestalozzi-Schule als Durchgangslager für 22.000 Heimatvertriebene

Die Pestalozzischule ist wohl eines der schönsten Gebäude Hockenheims, im Jugendstil errichtet, und Hunderte von Schulkindern gehen täglich ein und aus. Und doch hatte die Schule unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ganz andere Zeiten erlebt: zunächst als Flüchtlingslager für polnische Zwangsarbeiter, danach als Durchgangslager für mehr als 22.000 Heimatvertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. 1946 in Viehwaggons in Hockenheim angekommen, fanden diese eine vorübergehende Unterkunft in der Schule, und wurden von dort aus auf die Nachbargemeinden verteilt.
2008 hatte der Kreisverband Mannheim-Land des Bundes der Vertriebenen (BdV) einen Gedenkstein angeregt, der von der CDU politisch aufgegriffen wurde. Seit dem Jahr 2010 steht nun dieser Gedenkstein zwischen der Stadthalle und der Schule, um „gegen Krieg, Flucht und Vertreibung“ zu erinnern. Alt-Stadtrat Alfred Rupp hatte den Text für die Gedenktafel formuliert und die Firma Otto Fath den Stein gespendet und aufgestellt. In der Folge hatte Erich Losert für den Verein für Heimatgeschichte die Historie aufgearbeitet.
Mit einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung wollten die BdV- und CDU-Verantwortlichen an dieses Ereignis erinnern. Und mehr als 30 Personen, darunter viele Zeitzeugen, folgten dieser Einladung. Trotz brütender Hitze und eines Schwächeanfalls – der DRK-Notfallwagen musste herbeigerufen werden – entwickelte sich daraus eine würdige Veranstaltung, und viele der Anwesenden brachten ihre Erinnerungen von damals ein.
In ihrer Begrüßung erinnerte die BdV-Kreisvorsitzende Hannelore Kilian an die Aufstellung des Steins: „Wir freuen uns sehr, dass wir damit in allen vier Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Hockenheim an die Heimatvertriebenen erinnern“. Zuvor waren 1954 in Reilingen das Ostlandkreuz, und in Alt- und Neulußheim ebenfalls Gedenksteine aufgestellt worden.
Als Vertreter der katholischen Kirchengemeinde, aber auch als Sohn von Heimatvertriebenen, erinnerte anschließend Klaus Mann mit zwei kurzen Wortbeiträgen von Zeitzeugen, die damals in Hockenheim ankamen.
Anschließend würdigten sowohl der Reilinger Bürgermeister Stefan Weisbrod als auch der Hockenheimer Oberbürgermeister Marcus Zeitler die historische Leistung der Heimatvertriebenen, die von Null beginnend sich eine neue Existenz aufbauen mussten. Und Stefan Weisbrod versprach, dass sich die Gemeinde Reilingen um die Pflege des Ostlandkreuzes kümmern werde, da Hannelore Kilian dies aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr tun kann. Marcus Zeitler war quasi in Doppelfunktion anwesend: sowohl als Oberbürgermeister als auch als Sohn von Flüchtlingen aus dem heutigen Ungarn.

Als 16jähriger hatte Alt-Stadtrat Bernhard Fuchs miterlebt, wie sein Vater Markus Fuchs- als Leiter des Hockenheimer Wirtschaftsamts - vom Landratsamt mit der Versorgung der Vertriebenen beauftragt wurde. Dank der guten Verbindungen eines Herrn Kochs aus der Karlsruherstraße – der Vorname ist unbekannt – konnten Kühe von bayrischen Viehhändlern aufgekauft und in der ehemaligen Metzgerei Kief geschlachtet werden. „Davon profitierte auch die Hockenheimer Bevölkerung, da es ansonsten kein Fleisch gegeben hätte“, so Fuchs. Dank der Unterstützung von Frau Büchner aus der Adlerstraße konnten Zigarren als Ersatzwährung bei den Alliierten verwendet werden zur Versorgung der Vertriebenen.
Als letzter Redner erinnerte CDU Fraktionssprecher Markus Fuchs an die erste Veranstaltung im Jahr 2008, die ihm sehr nahe gegangen sei: „Es ist eine Sache, vom Fernsehsessel den Berichten über Krieg, Flucht und Vertreibung zu folgen. Es ist eine andere Sache, wenn die Betroffenen selbst darüber sprechen“. Mit den Worten eines damaligen Referenten, Franz Gebuhr, beschloss Fuchs die Veranstaltung: „Man sollte nie vergessen, damit so etwas nie wieder passiert. Aber man sollte verzeihen können“.
Im Rahmen der Veranstaltung übergab Franz Schießel eine Liste der 13 sudetendeutschen Vertriebenentransporten, die zwischen dem 17. Mai und dem 26. Oktober 1946 in Hockenheim ankamen. „Am 23. Juli 1946 war ich dabei zusammen mit 1.203 weiteren Personen. Wir kamen über Neutitschheim und Bayern nach Hockenheim. Meine Heimatstadt war Fulnek in Nordmähren, heute Tschechien“.
Für eine Übergangszeit war er in dem hinter dem Gedenkstein liegenden Zimmer untergebracht, in zwei- bis dreistöckige Betten, wie sich Franz Schießel erinnern konnte. Weitere Vertriebenen wurden in der Turnhalle sowie in der ehemaligen Hartmann Baumann-Schule – im Volksmund: die rote Schule – in der Heidelbergerstraße untergebracht. Während Schießel in Hockenheim verblieb, wurden viele andere vom Gemüsehändler Hans Huber im Auftrag der Stadt in die Nachbargemeinden gebracht, daran konnte sich Alfred Rupp erinnern.
Beeindruckt von den Schilderungen zeigte sich der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thorsten Völlmer: „Eigentlich sollten die Zeitzeugen von den Schulen eingeladen werden, um im Unterricht von ihren Erlebnissen zu berichten. Das wäre dann Geschichtsunterricht zum Anfassen“.

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